Hafen! Herrlicher Hafen! Endlich wieder Schiffsdiesel an Möwengeschrei, die rege Betriebsamkeit der Fähren und Barkassen. Wenn auch an diesem milden Märztag die Sonne schmeichelnd erste Wärme verspricht, zieht es mich in die kuschelige Tiefstwinterjacke. Zu bequem und lockend, diese Möglichkeit in wohlige Daune gehüllt erste Strahlen Frühlingsversprechen genießen zu dürfen. Was natürlich nicht fehlen darf, als trendbewusster norddeutscher Großstädter, die Stil bewussten oder gewollten Sonnengläser. Also sitze ich hier an den Landungsbrücken im Hamburger Hafen, Ray auf der Nase, in Daunen gehüllt und erwarte die Ankunft meiner lieben Freundin.
In Hamburg ist es seit geraumer Zeit modern, bei jedem auch nur kleinsten Sonnenstrahl die Sichtschutzbrille zu zücken und Sommer zu zelebrieren. Wahrscheinlich um dem subjektiven Empfinden vorzubeugen, der Norden wäre an Sonnentagen benachteiligt. Ist nicht so. Laut Statistik scheint in dieser Stadt ebenso häufig die Sonne, wie in Berlin, Köln oder München. Nun gut, in München vielleicht mehr. Auch egal. Die haben nicht so viel Wasser. Und die Berge versperren die Sicht in die Ferne. Eingebildete Hamburger, glaube, ich darf mich da getrost hinzu zählen… Zudem: auch ich bin der sonnenbebrillten Mode hörig und lebe diese Art der Sonnenanbetung zu jeder möglichen Gelegenheit. Was nicht so oft vorkommt, wie die Sonne tatsächlich scheint, Berufskrankheit. Ein flacher, Staub bedeckter Schlammbagger zieht im brackigen Elbwasser vorbei. Dieses wundervolle Bild! Im Hintergrund die Docks, reger Schiffsverkehr von Barkasse bis Containerriesen groß wie Hochhäuser und unmittelbar anbei die Möwen, kreischend. Das ist Hamburg!
Auf dem Ponton an Brücke 3 lustwandeln interessante Gestalten, bleiben am Geländer stehen, gehen weiter, werfen sich kurze Sätze zu. Warum unterhält sich niemand länger? Überwiegend Hamburger, wenige Touristen. Liegt es daran? Merkwürdig muten die Gesichter der Leute an, so teilnahmslos. „Hier spricht man von Backbord und Steuerbord“, schallt es aus dem Lautsprecher einer Hafenbarkasse. Ständige Wiederholung immergleicher Phrasen. Schon auf Ausflügen der 3. Klasse gehört, mit den Eltern, später mit Freunden, denen es die Stadt zu zeigen galt. Und trotzdem immer wieder lohnenswert. Gutes, altes Hamburg. Mondänes Hamburg. Modernes Hamburg. Hier bläst nun ein neuer Wind. Gleich links hinauf gebiert sich eine neue Urbanität, die Hafencity. Der Hasselbrook heißt nun Shanghai Straße oder so ähnlich, ein neues Wahrzeichen entsteht. Darauf bin ich schon mächtig gespannt. Werde es rege nutzen, die Aussichtsplattform der Elbphilharmonie. So schön und aufregend das alles ist, lasst bitte Backbord und Steuerbord mit in diesem Kreis!
Die Leute. Ihre Blicke korrespondieren so gar nicht mit der Umgebung, mit der Stadt, dem Hafen. Wenn man Ole in Staatsreden sieht, schaut das so ähnlich aus. Der guckt auch immer irgendwo hin, nie in die Kamera. Oder guckt er bloß nicht, wenn ich gucke? War mal bei einem seiner Vorträge, Hassthema Kohlekraftwerk. Da hat er auch komisch geguckt. Ich hab auch komisch geschaut. Bei seiner Argumentation, weshalb es ausgerechnet Kohle sein muss und keine Müllenergie. Den Müll müsse man mit LKW´s über Land nach Finkenwerder transportieren. Würde in ein Verkehrschaos ausarten. Die Kohle käme mit Schiffen. Weshalb man den Müll nicht mit Schiffen transportieren könne, hat er nicht erzählt. Da habe ich mal komisch geguckt.
Im Hafen gibt es so viel zu erleben, zu sehen, zu entdecken. Warum nehmen die Leute das nicht auf? So schwammartig neugierig. Nur untereinander sind Aktion, meist Reaktion erkennbar. Ein Phänomen der Zeit? Haben wir verlernt zu erfahren? Konsumieren wir bloß noch den Ausflug an die Elbe? Die Sonne glitzert blass wie Perlmut auf dem sich leicht kräuselnden Wasser. Die Möwen konzentrieren sich nun hektisch Flügel schlagend in Kainähe, scheinen sich um die Überreste von irgendwas zu streiten. Irgendwas könnte der letzte Krümel von Fischbrötchen sein. Ebenfalls geliebte Tradition hier an den Landungsbrücken. An jeder zweiten Tür erhältlich. Man besucht den Hafen nicht ohne Fischbrötchen. Bremer am liebsten, dick mit Remoulade versetzt. Wäre mal ein lohnenswertes Projekt, sich durch alle Fischbrötchenbuden zu essen. Am Ende würde eine unabhängige Jury (ich) das Beste küren. Alternativ: Fish & Chips. Das ist dort erst neuerdings modern, so angelsächsisch sind wir Hamburger nun auch wieder nicht. Und es gibt nur zwei Anbieter, da ist der Sieger klar gekürt, Nordsee ist es nicht. Meine beste Liebe ist angekommen. Habe zehn Minuten Schimpfe über mich ergehen lassen. Wagte es sie morgens um 11 Uhr zu wecken, gleich drei Stunden später sie treffen zu wollen. Kann man ja nicht wissen. Jetzt aber los, Fischbrötchen essen, Wochenende konsumieren. Ähm, zelebrieren…